Lifestyle

Wie ich die schlimmste, perfekte Sportart fand.

Es ist an Faszination kaum zu überbieten, wie gut man sich selbst belügen kann.
Ich zum Beispiel war über eine lange Zeit hinweg zutiefst davon überzeugt, dass ich „schon, doch, irgendwie relativ sportlich“ sei.
Ab und zu besuchte ich das Fitnessstudio, lief auf dem Laufband, ruderte auf dem Rudergerät und stemmte an einigen Gewichten.
Das Ganze allerdings eher undiszipliniert, unregelmäßig und keinesfalls sehr anstrengend.
Egal, bin schließlich schlank. Und schlank ist fast so ähnlich wie sportlich, oder?

Man kann vielleicht sein Hirn belügen, aber ganz bestimmt nicht seinen Körper.
Der fand nämlich überhaupt nicht, dass schlank = sportlich ist, und legte mich über Wochen, Monate (und fast Jahre) mit Nacken- und Kopfschmerzen lahm.
Ich lief zu Ärzten und Spezialisten, ließ mir alles Mögliche ein- und wieder ausrenken, verbrachte sehr viel Zeit auf dem Sofa und in Wartezimmern und umso weniger mit Dingen, auf die ich tatsächlich Lust hatte.
Aufgrund der Schmerzen ging ich noch viel seltener trainieren. Ein Teufelskreis.

Bis irgendwann in dem Gym-Raum, in dem ich mich meistens dehne, ein Zumba-Kurs stattfand.
Und da ich gerade sowieso da war, blieb ich einfach.
Der Raum füllte sich mit Frauen jeden (und damit meine ich: JEDEN!) Alters und jeder Statur, die zu heißen Rhythmen ihre Hüften schwenkten, ihren Po kreisten und ihre Brüste lasziv vor und zurück schoben.
Ich wollte meinen Po auch kreisen.
Allerdings konnte ich den fast 70-Jährigen Rentnerinnen nicht zuschauen, wie diese ihre sexy Moves ausführten, weil ich ganz und gar damit beschäftigt war, selbst Schritt zu halten.
Nach einer Stunde Zumba fühlte ich mich so erschöpft, wie seit Jahren nicht mehr.
Anscheinend war ich doch nicht so sportlich wie angenommen.
Ich beschloss, fortan zumindest wöchentlich den Kurs zu besuchen, nichtsahnend, dass die Bedeutung des Wortes „Erschöpfung“ schon bald völlig neue Dimensionen einnehmen sollte.

Alles ging so lange gut, bis ich – nach einer längeren Gym-Pause – einen Freund dazu nötigte, den Zumbakurs „Bitteeee, nur ein einziges Mal!“ mit mir zu besuchen.
Die neue Kursleiterin kannte ich nicht, und die ersten Übungen erschienen mir seltsam anstrengend.
Ich kam sofort aus der Puste und versicherte dem Freund, dass gleich der spaßige Teil anfinge; das seien sicher nur die Aufwärmschritte zu einer ungewohnt harten Musikrichtung.
Der spaßige Teil kam nicht.
Stattdessen wurde die Musik schneller und härter, der Ton der Kursleiterin lauter, die Übungen grenzten an körperliche Tortur.
Auf der Stelle bekam ich Seitenstechen, mein Kopf wurde rot, mein Schweiß tropfte wie ein präzises Uhrwerk von der Nasenspitze.
Schockiert durch die Härte der Übungen, die „SCHNELLER! TIEFER! HÖHER!“ – Schreie der Kursleiterin und die harte, dröhnende Musik konnte ich nur einen Gedanken fassen, welcher lautete:
Überleben.
Ich hasste jede einzelne Minute des Trainings zutiefst.
Am liebsten hätte ich geweint.

Die Erklärung für das Horrorszenario war nachträglich schnell gefunden:
Das Kursprogramm wurde über den Jahreswechsel geändert, statt Zumba nahm ich unwissend an einem asiatischen Kampftraining (oder einer High Intensity-Version davon) teil.

Am ganzen Körper zitternd und aufrichtig fassungslos schaffte ich es gerade noch so zu meinem Auto.
Die bittere Wahrheit lautete:
Ich bin so sportlich wie ein Toastbrot.
Nein, vielmehr: So sportlich wie ein Toastbrot, das in Milch eingeweicht wurde.
Nein, wartet: So sportlich, wie ein Toastbrot, das in Milch über Nacht eingeweicht und am nächsten Morgen zu einer matschig-triefenden Masse ausgewrungen wurde.

Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass sich das gesamte Erlebnis so grenzwertig traumatisierend anfühlte.
Oder daran, dass sich im Raum noch viele weitere Personen befanden, die – again – mehr an Lebensjahren oder Kilos auf der Waage mitbrachten und im Gegensatz zu mir nicht kurz vor dem körperlichen Gesamtkollaps waren.

Jedenfalls dachte ich plötzlich, dass es wohl nicht sein kann, dass ich keine fünf Minuten lang ohne komplette Atemnot und Zittern springen und boxen kann.
Und es nicht sein kann, dass mich jede 60-Jährige einfacher im Kämpfen überholt (beim unwahrscheinlichen Angriff der Zombi-Aliens zum Beispiel), als ein Porsche 911 Turbo S einen kleinen Seat auf der A9.
Und dass ich wie so ein schlaffes – zugegeben schlankes, aber dennoch schlaffes! – aufblasbares Winkemännchen durch die Gegend laufe.
Skinny Fat nennt man den körperlichen Zustand.
Never this.
Auf gar keinen Fall werde ich mit Fünfzig einen Floppy Ass haben.
Not happening.

Und so nahm ich mir vor, wieder zum Horror-Kurs des Todes (wie ich ihn insgeheim nannte) zu gehen.
Mit dem demütigen Ziel, erst nach 10 Minuten Seitenstechen zu bekommen.
Das schaffte ich erst nach dem dritten Mal.
Mein nächstes Ziel war Seitenstechen erst nach 15 Minuten.
Als ich es zum ersten Mal ganz ohne Seitenstechen hinbekam, hätte ich am liebsten jeden Kursteilnehmer umarmt (bis mir einfiel, dass kein Millimeter meines Körpers frei von Schweiß ist).
In Wahrheit wollte ich jedes mal, wenn ich den Military-Kurs überlebt habe, alle umarmen.

Vor jedem Training hatte ich – na gut, habe ich bis Stand heute –  einen kurzen, heftigen Panik-Anflug („Was ist, wenn ich es nicht schaffe?“) und selbstverständlich die originellsten Ausreden parat („Ich kann auch nächstes Mal hingehen/ bin heute so müde / könnte stattdessen die Wäsche bügeln, den Keller streichen, auf den Mars fliegen. Alles heute noch.“)
Aber dann erinnerte ich mich an das sehr weiche Toastbrot und das Floppy Ass und ging mit dem größten Widerwillen hin.
Und kam mit dem tiefsten, sehr befriedigenden „Ich bin nicht komplett zusammengebrochen.“-Gefühl nach Hause.

Der allbekannte Rat, doch eine Sportart zu finden, die Spaß macht, dann würde man ganz freiwillig Sport machen, konnte bei mir nicht falscher sein.
Von allen Bewegungs- und Sportarten, die auf dem Planeten jemals erfunden wurden, kann ich mir nichts Schlimmeres vorstellen, als im schnellen Tempo zu sehr harter Musik und gebrüllten Befehlen zu treten, zu boxen, zu springen, über den Boden zu robben und währenddessen laut zu schreien. Letzteres nur, wenn man noch irgendwie Luft kriegt.

Nach drei Wochen verwechselte ich versehentlich die Uhrzeiten der Kurse und landete wieder im Zumba- statt im Kampftraining.
Genau dieses Zumba, das ich anfangs so unglaublich erschöpfend fand.
Ich absolvierte den Kurs leichtfüßig und strahlend und wartete insgeheim auf den anstrengenden Teil.
Dieser kam nicht.
Nicht der Zumba-Kurs hatte sich geändert.
Mein Körper hatte sich geändert.

Ich überstehe nicht nur das Military Training ohne komplettes Kreislaufversagen (von lässigem Mitmachen allerdings noch meilenweit entfernt), als Benefit wurden meine Nackenverspannungen etwas seltener.
Keine sexy klingende Pilates-Yoga-Barre-Indoor Cycling Class konnte mich dazu bewegen, was der „Kampftraining des Grauens“- Kurs hinbekommen hat.
Und zwar, dass ich vor lauter Ehrgeiz, währenddessen nicht zusammenzubrechen, regelmäßig hingehe.

Bis ich eine Sportart finde, die mir wirklich Spaß macht, will ich genau das nicht als weitere Ausrede benutzen, keinen Sport zu machen.
Vielleicht braucht man kein weiteres, kostspieliges, fancy klingendes Fitness-/Abnehm-/Endlich flacher Bauch – Programm, Kurs oder Online irgendwas.
Vielleicht reicht ein ordentliches Schock-Erlebnis in einem muffig-stickigen Studio um die Ecke mit günstiger Mitgliedschaft und einer Menge älteren Damen, das einem vor Augen führt, wie sehr man sich bisher belogen hat.

Na ja, und bei Zombi-Apokalypse seid ihr auf jeden Fall bei mir sicher.
Ich trete und boxe, und dann schreie ich sie an.
Die haben keine Chance.


Liebesgrüße
Joanna

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23 Comment

  1. Reply
    Dunja Baltruschat
    17. Juli 2024 at 9:33

    Du bist der Knaller ! ich liiieeebe deine Texte!
    Tausend Dank dafür!

    1. Reply
      Joanna
      17. Juli 2024 at 9:56

      Vielen Dank! Hat mir auch sehr Spaß gemacht, es aufzuschreiben.
      (Das Training eher weniger ;))).

  2. Reply
    Anke
    17. Juli 2024 at 10:23

    Hihi, mir ist es ähnlich ergangen – wäre früher never ever ins Fitnessstudio gegangen. Inzwischen boxe und kicke ich auch mit Freude beim Body Combat, nach ein paar Wochen auch ohne Höllenmuskelkater danach und hab mich damit voll selber überrascht

    1. Reply
      Joanna
      17. Juli 2024 at 11:17

      Mega!!!!!

  3. Reply
    Yvonne
    17. Juli 2024 at 11:59

    Hallo Joanna, ich mag deine Texte sehr, den heute ganz besonders, habe ich mich doch darin wieder gefunden . Seit einem Jahr gehe ich ins Fittnessstudio, vorher hatte ich diesselbe Einstellung wie du und ebenfalls Figur sehr schlank.
    Es gibt mir so eine Zufriedenheit wenn ich dann nach meinem Training herausspaziere( am Anfang wie du heraus gekrochen).

    Warum ich das schreibe? Egal wie alt man ist, man kann alles ändern, auch seine Einstellung….
    Ich bin übrigens die von der älteren Fraktion, seit 8 Wochen 60……

    Liebe Grüße Yvonne

    1. Reply
      Joanna
      17. Juli 2024 at 12:20

      Ja! Das ist so!

      Und die herzlichsten Glückwünsche zum 60ten ❤️!

  4. Reply
    Catalina
    17. Juli 2024 at 13:11

    Oh my, habe mir alles so bildlich vorgestellt und Tränen gelacht! (Mit dem dezenten Klopfen im Hinterkopf, dass ich mich ebenso schlank=fit belüge und nicht mal irgendwo angemeldet bin…)
    Küssle!

    Catalina

    1. Reply
      Joanna
      17. Juli 2024 at 13:19

      DU BIST JA AUCH WEIT ENTFERNT VON FÜNFZIG!

      (Und bist du nicht das Yoga Girl?)

  5. Reply
    Michaela
    17. Juli 2024 at 14:54

    Ich bin schon seit einigen Jahren in der Phase „ich-weiss-dass-ich-was-tun-muss-und-will-ja-eigentlich-auch“. Seit einem halben Jahr hab ich ein Studio im Auge. Jetzt beginnt die Phase „wenn-ich-Zeit-hab-schau-ich-es-mir-an“.
    Schlimm, ich weiss. Aber Dein Text macht mir Hoffnung. Vielleicht wird es bei mir auch so lustig.
    Herzlich und NOCH mit Schwabbelpo
    Michaela

    1. Reply
      Joanna
      17. Juli 2024 at 15:54

      Lustig war es nur beim Schreiben. Nicht beim Trainieren ;).

  6. Reply
    Silke Penner
    17. Juli 2024 at 16:38

    Ich liebe diesen Text . hab Tränen gelacht und es hat wieder mal motiviert den nicht Floppy ass hochzukriegen

    1. Reply
      Joanna
      17. Juli 2024 at 17:04

      Hahaha, gerne!

  7. Reply
    Melanie
    17. Juli 2024 at 18:05

    Der Text passt wie A…auf Eimer zu einem Prozess, in dem ich gerade stecke. Am besten gefällt mir der Satz: Man kann vielleicht sein Hirn belügen, aber ganz bestimmt nicht seinen Körper.
    Wie gut dass wir diese Instanz haben, ich kann immer besser darauf hören und verstehen und danach handeln. Ein guter Prozess ist das. Oft schmerzhaft….in a good way.

    1. Reply
      Joanna
      17. Juli 2024 at 21:16

      Ich würde kurzen Prozess machen.

  8. Reply
    Petra von FrauGenial
    17. Juli 2024 at 21:25

    Ich musste bei jedem Absatz so hart lachen. Ich hoffe, ich komme auch in den Geschmack vom asiatischen High Intense Training. Vermutlich gibt es ja bald auch einen Liebesbotschaft Workout Workshop, hehe.

    1. Reply
      Joanna
      17. Juli 2024 at 21:28

      Du und ich haben denselben Sinn für Humor ;).

  9. Reply
    Lucy
    18. Juli 2024 at 7:27

    Ich nenne sowas Trotz-Liebe, denn in meinem Leben wurde aus so Ereignissen immer das aller Größte und Schönste.
    Liebe in dem Moment der Verzweiflung zu finden, ist das Sprungbrett des Lebens.

  10. Reply
    Nane Boemke
    18. Juli 2024 at 9:13

    Ich gehe seit vielen Jahren fast jeden Morgen um 6:00 Uhr ins Fitness: Laufen / Rudern – alles mag ich und auch die Disziplin, die mir mit fast 50 jetzt den Ar…rettet;) – genauso lange schleiche ich aber um die angebotenen Kurse rum: High Intense und Zumba…..nach diesem wunderbaren Artikel wage ich es…Danke Joanna, wie immer: merci beaucoup das wir teilhaben dürfen!

    1. Reply
      Joanna
      18. Juli 2024 at 10:18

      Wow, das bewundere ich!

  11. Reply
    Elli
    19. Juli 2024 at 8:46

    Haha, so unterhaltsam geschrieben … würdest du deine Texte zu deinem Leben veröffentlichen … I mean , es würden Bestseller sein … ❤️

    1. Reply
      Joanna
      19. Juli 2024 at 9:43

      Danke!!!
      Macht mir selbst auch Spaß, das aufzuschreiben ;).

  12. Reply
    Erika
    20. Juli 2024 at 20:14

    Schlank, sehniger Körperbau – jeder dachte ich sei sehr sportlich und versicherte jedem: ich bin eine Mogelpackung und dann ging ich auf Wanderschaft auch im Winter nur mit Ski, langsam gesteigert und als Ausgleich eine dynamische Form des Yoga. Stärkt und dehnt die Muskulatur. Je älter wir werden, desto wichtiger ist ausreichende, gute Bewegung. Ich bin sicher, als du noch deinen Hund hattest, war dein Körper ausgeglichener. Frische Luft, Natur….ebenso positiv für das gesamte Menschsein. Alles Liebe für dich und deine körperliche Fitness

  13. Reply
    Viola
    25. Juli 2024 at 18:20

    Crossfit wäre auch so eine super Alternative – mit Schreien wenn du willst, ohne Boxen, ziemlich wahrscheinlich noch komplexer und härter als der asiatische High Intense Kurs, aber du lernst da auch an Seilen hoch zu klettern- so können die Zombies dann tatsächlich kommen – du hast sie dann alle im Griff ❤️❤️❤️

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