Der frühe Montagmorgen ist so grau wie die Farbe meines Kaschmir Sweaters, dafür spiegelt das Weiß des Schneeregens, der in mein Gesicht peitscht, die Farbe meiner Baseballcap.
Während ich zum Auto laufe, fällt mir ein, dass auch mein Bett gerade in wunderschönen, aufeinander abgestimmten Weiß- und Grautönen bezogen ist und wenn das Wetter farblich nun mal so gut zum Schlafzimmer passt, sollte man den Tag eventuell auch insgesamt dort verbringen.
Oder wahlweise auf Ibiza, da hat man Sonne nicht nur im Herzen, sondern auch All Day Long auf einer Finca mit Pool.
Die tiefen, weichen Polstermöbel der Finca sind mit belgischem Leinen bezogen, das kostet schon wieder ein Vermögen, alles, wovon ich träume, endet immer mit immensen Folgekosten.
Um nicht ganz so broke zu sein, bleibe ich also vorläufig in Nürnberg Downtown und frage mich ernsthaft, ob man sich eigentlich – nur rein hypothetisch – mit dieser sich anbietenden Tristesse abfinden muss?
Oder ob es an einem solchen Tag ebenso wundervolle Dinge zu erleben gibt?
Ich mache zuerst meinen Scheibenwischer und dann eine Winter Jazz-Playlist an, während mein Auto geräuschlos durch die Stadt gleitet.
Die Flocken tanzen und schmelzen abwechselnd im Rhythmus der Musik, der Schneeregen zeichnet die Konturen der Häuser weich und taucht alles in einen „magische Stimmung“-Filter.
Ich könnte noch stundenlang genau so durch die Stadt fahren.
Der Small Talk bei meinem ersten Termin wird damit eröffnet, wie furchtbar das Wetter sei, worauf ich entgegne, dass ich gerade die schönste Autofahrt meines Lebens hatte, all die zarten Flocken, die zum Blackberry Winter von Keith Jarrett schwebten, wie schön kann man es haben?
Mein Gesprächspartner stottert verdutzt, mit dieser Äußerung bringe ich ihn offensichtlich aus dem Konzept, er rettet sich mit einer murmelnden „… aber es schmilzt alles wieder, früher, das waren noch Winter, das gibt es heutzutage gar nicht mehr…“ – Bemerkung, bevor es Back to Business geht.
Nach dem Termin besuche ich die erste Baustelle, mache die Lichtplanung für die zweite und suche zwischendurch – weil sich das belgische Ibiza-Leinen für heute offensichtlich erledigt hat – einen weichen, hellen Wollstoff für mein Cappellini Daybed von James Morisson aus.
Ich bitte den Polsterer, meine Liege abzuholen, in den neuen Smart passe gerade mal ein Fläschchen Nagellack und ein Blumenstrauß rein.
Nachdem ich die Adresse des Liebesbotschaft Headquarters nenne, schaut mein Polsterer erstaunt, wir stellen fest, dass ich ganz zufällig das Gebäude seines Bruders gekauft habe.
Dieser war nicht nur ebenfalls Polsterer, sondern erschuf sich den Traum von einem Leben als John Wayne in Frankenland, ritt fortan auf Pferden in passenden Outfits und ließ alle ungefragt per What’s App daran teilhaben.
Mich inklusive.
Mein Chatverlauf vom damaligen Immobilienkauf liest sich wie ein Wild West-Album, Cowboy-Foto – „Wooooow.“ – Cowboy-Video – „Grossartig. Im Übrigen, wissen Sie, ob der vordere Teil des Gebäudes einen separaten Gas-Anschluss hat?„, Cowboy-Foto, usw.
Ihr kennt das.
Der Polsterer lacht laut, holt auf der Stelle seinen Sohn aus der Werkstatt und die Ehefrau aus dem Büro und stellt mich mit den Worten: „Ihr werdet es nicht glauben, das ist die Frau, die das Gebäude gekauft hat. Sie bekommt wie wir alle Cowboy-Fotos zugeschickt.„, alle sind sehr glücklich, ich bin ab sofort Teil der Familie und bekomme außer den Fotos lebenslang Prozente auf alles Gepolsterte.
(Das mit den Prozenten ist Wishful Thinking, aber John Wayne aus Franken stimmt).
Im Verlauf des Tages gibt es eine weitere Bauplanung, Himbeer-Zimtkuchen und Liebesbotschaft-Espresso, einen zweiten Baustellentermin und einen Baumarktbesuch, bei welchem ich herausfinde, dass außer Nagellack ein 20Liter großer Farbeimer ganz hervorragend in meinen E-Smart passt – wenn nur der Beifahrer seine Beine darauf abstellt, während sich seine Knie direkt unter dem Kinn befinden.
Geht doch.
Und weil schließlich noch Platz für einen Blumenstrauß bleibt, wähle ich statt Tulpen weißes Schleierkraut, ich kaufe einen, zwei… vier, nein, fünf Bund Schleierkraut, einen ganzen Arm voll weiße Schneeflocken auf zarten grünen Stengeln lade ich ins Auto.
Sie ergeben einen üppigen, sehr eleganten Strauß im versilberten Champagnerkübel auf meinem Esstisch.
Außerdem kaufe ich einen großen Topf mit frischem Rosmarin, der am Abend die Sesamkartoffeln vom Blech begleitet, dazu gibt es 40 Min. lang karamellisierte Zwiebeln und Kichererbsen mit reichlich Zimt, Kreuzkümmel, Ingwer und Knoblauch für mich.
So simpel das orientalische Soulfood-Gericht zubereitet ist, so fantastisch schmeckt es.
Ich beende den Tag mit wildem Tanzen im Badezimmer, ganz viel naturtrüben Apfelsaft, salzigem Popcorn, einem langen Bad und einer spannenden Netflix-Doku über Betrüger.
Spätestens als der Satz „Aber ich brauche das Geld ganz schnell, bis Dienstag müsst ihr es mir leihen.“ fällt, wird mir klar, dass ich an diesem Punkt vor lauter Red Flags keine andere Farbe mehr gesehen hätte, nicht das Weiß der Schneeflocken, kein Grau des Himmels, nur noch Rot Rot Rot, weil jeder weiß:
Niemals darf man unter (Zeit-)Druck eine wichtige Entscheidung fällen.
Wer hätte gedacht, dass dieser triste, ungemütliche Montag so viel Schönheit und Genuss bereit hält?
Und dass Liebe nicht über den Magen, sondern ebenfalls über Cowboybilder geht?
Mein Daybed steht zwar nicht auf Santa Eulària des Riu, sondern bei -3 Grad hoffentlich bald in meinem Altbau-Wohnzimmer, aber wer will schon den Schneeflockenstrauß missen?
Bin sehr froh, dass ich nicht im Bett geblieben bin.
Morgen kaufe ich erstmal Nagellack.
Liebesgrüße
Joanna
P.s. Falls es euch Freude macht, mich an einen ganz gewöhnlichen Tag wie dem heutigen zu begleiten, kann ich gerne regelmäßiger solche Diary-Einträge verfassen.
Lasst es mich in den Kommentaren wissen!
Papagena
2. Februar 2022 at 8:03Lieb‘s total, deinen Tagesbericht zu lesen!
Gabriele Kunze
2. Februar 2022 at 8:13So wundervoll, liebe Joanna!
Im ewigen Wintergrau(sen) Norddeutschlands bräuchte ich täglich so einen Text von Dir.
Alles Liebe, Gabi
Joanna
2. Februar 2022 at 9:34Dienstag war auch schon wieder soooo schön ;))), ich würde gar nicht hinterher kommen :)))!
Hausfrieden
2. Februar 2022 at 8:26Herrlich!!! Ich bin gerne mit Dir durch Deinen Montag flaniert Wir hatten auch einen Smart, bevor wir Eltern wurden war das. So ca 2003 muss es gewesen sein, da sind wir mal aus unserer Wahlheimat Potsdam zu Weihnachten nach Süddeutschland gefahren. A bissle Gepäck für zwei, ein paar Weihnachtsgeschenke und die Posaune meines Liebsten. Hat alles reingepasst. Bei der Erinnerung an die über 600 km Fahrt mit seinem Instrument zwischen meinen Schenkeln muss ich, auch fast 20 Jahre später, noch grinsen. Smarts waren schon immer cool. E-Smarts sind noch besser! Ich fahre mittlerweile Tesla und kann mir ein lautes Motorengeräusch beim Fahren und etc. gar nimmer vorstellen. Schön, dass Du die E-Mobilität für Dich entdeckt hast ⚡️
Liebe Grüße
Steffi
Claudia
2. Februar 2022 at 8:27Unbedingt mehr davon! You made my Day!
Esther
2. Februar 2022 at 8:43Ich finde es großartig, von deinen Willen, die Schönheit in allem zu finden, zu lesen. Das inspiriert mich. Gerne auch öfter hier, da bleiben die Artikel einfach besser lesbar als auf Instagram.
Joanna
2. Februar 2022 at 9:34❤️!
Kerstin
2. Februar 2022 at 8:54Auf jeden Fall mehr von deinen Diary Einträgen
Melli
2. Februar 2022 at 9:13Liebe Joanna, ganz unbedingt bitte mehr davon! Ich liebe deine mitreißende Leichtigkeit, deinen Humor, deinen Stil, hach, einfach alles an dir Liebe Grüße, Melli
Joanna
2. Februar 2022 at 9:34Danke dir ❤️!
Claudia Ehrlinger
2. Februar 2022 at 9:24Fantastisch! Gern mehr davon – du hast einfach Stil und inspirierst mich jedes Mal. Vielen Dank, lg Claudia
Marie
2. Februar 2022 at 10:17Oh ja, bitte öfter
Katja
2. Februar 2022 at 11:57Einfach nur: Ja!
Petra
2. Februar 2022 at 12:22Joanna, für mich gehören deine Tagebucheinträge mit zur allerschönste Lektüre. Natürlich auch alles andere von dir. Aber deine Blickwinkel sind einfach gigantisch. Also bitte gerne mehr davon. 🙂
Joanna
2. Februar 2022 at 12:25Leila
2. Februar 2022 at 12:47… und plötzlich sieht man die Schönheit in Schneeflocken, grauem Himmel und Wind bzw Tristesse! Ich mag es, dass du meinen Blick auf meine kleine Welt um mich herum veränderst! Denn dann wird es liebevoller, bunter und positiver in mir, um mich und um mich herum!
Ja, sehr gerne mehr von den Monday Diary-Einträgen!!! Besser, humorvoller, liebevoller und schöner kann ein Montag bzw eine Woche nicht starten!
Kim
2. Februar 2022 at 13:35Oh jaa!! Bitte mehr davon. 😀
Tanja
2. Februar 2022 at 13:36So so so schön. Du hast mir den Tag gerettet Gerne mehr davon!
Heike
2. Februar 2022 at 16:59Es macht sooo viel Spaß und gute Laune, solche Diarys von Dir zu lesen. Also sehr gerne mehr davon!!!
Alex
2. Februar 2022 at 18:37Oh, ja bitte, sehr gerne! 🙂
Martina
2. Februar 2022 at 18:52Lese deinen Beitrag vom Montag erst jetzt. Und JAAAAAAAA – bitte ganz viel noch davon :-)!
Du schreibst so schön, das macht direkt gute Laune. DANKE dafür!
Silke
3. Februar 2022 at 10:06Liebe Joanna, sehr sehr gerne. Du hast eine wunderbare Art zu schreiben, immer mit einem kleinen Schmunzeln auf den Lippen.
By the way: Wenn ein 20 L Farbeimer in den Smart passt, dann doch sicher auch mehr eine Flasche Nagellack und ein Blumenstrauß?
Erika
3. Februar 2022 at 20:52Inspiration, ganz pur! wunderschön! Ist Lebenskunst nicht die schönste Art von Kunst? Du bist eine grosse Künstlerin!
Elke
4. Februar 2022 at 8:42UNBEDINGT … niemand könnte uns die Schönheiten des Lebens besser lehren als du ❤️
Nicole
8. Februar 2022 at 9:59Oh bitte unbedingt! Gerne auch öfter als einmal die Woche (kannst ruhig mal Nachtschichten einplanen ;-)) Ich habe mich heute Früh richtig darauf gefreut beim Frühstück deinen neuen Eintrag zu lesen und bin auch direkt anders in den Tag gestartet. Ich finde es schön wie du jede Minute deines Tages zelebrierst und aus alltäglichen Dingen, die man selbst lange nicht mehr als etwas Besonderes wahrgenommen hat, etwas Wunderschönes machst.
Liebe Grüße und hab eine fabelhafte Woche – aber darüber muss ich mir wohl keine Sorgen machen 🙂
Nicole