Die großen, wirklich wichtigen Entscheidungen treffe ich stets intuitiv:
In meinem Kopf existieren keine Pro- und Kontra Listen, es gibt kein Abwägen und kein Hin- und Herwälzen, dafür exakt zwei Möglichkeiten zur Wahl:
Entweder „JA“ oder „NEIN“.
Oder „Ich bin nicht sicher.“, also „NEIN“.
Dann wird danach gehandelt und dann geht es schon wieder weiter, weil es die ganze Zeit so viel Schönes zu erleben gibt.
Und so begab es sich, dass ich vor ungefähr 2 Jahren eine alte Polsterei kaufte und beschloss, dort das Liebesbotschaft Headquarter zu erschaffen.
Ich kaufte nicht nur das gesamte Gebäude, sondern ebenfalls alle Stellplätze im Innenhof, damit man – so zentral in der Stadt Gold wert! – dort jederzeit bequem parken kann.
Was keiner zu diesem Zeitpunkt ahnen konnte, war die Tatsache, dass ich dort gar nicht jederzeit und gar nicht bequem parken können würde.
Zumindest nicht, wenn es nach meinen Nachbarn mit Migrationshintergrund gehen würde:
Diese wurden die neuen Mieter eines Imbisses im Vorderhaus – führten sich aber wie die Eigentümer des gesamten Stadtteils auf.
Kein Verbotsschild und keine Feuerwehreinfahrt hielt sie davon ab, meine Zufahrt dauerhaft zu besetzen.
Ich versuchte es freundlich und entgegenkommend, nichts half.
Ich wurde deutlich und fand klare Worte, nichts half.
Ich lies das Ordnungsamt, Abschleppdienste und die Polizei kommen: Nichts half auf die Dauer.
Die Einfahrt wurde nur sehr widerwillig und betont langsam freigemacht, manchmal gar nicht.
Die Situation verschärfte sich, meine Mitarbeiter und ich wurden angeschrieen und bedroht und obwohl ich keine Angst habe, machte das Ganze keinen Spaß.
Wer hat schon Lust auf Krieg, wenn er morgens zur Arbeit fährt?
Keiner.
Es musste unbedingt eine andere Lösung geben, ich kann unmöglich eine falsche Entscheidung getroffen haben.
Als ich heute früh aufwachte, ahnte ich noch nicht, dass dieser Montag neben sehr viel Genuss eben diese Lösung bereithalten würde.
Der erste Teil des Tages verläuft wie im Flug:
Zuerst ein Workout im Morgengrauen, dann Rührei und geröstetes Brot mit Ziegenfrischkäse und Tomaten, im Eingang meines Apartments brennt eine duftende Kerze, dann eine Baubesprechung, dann die Liebesbotschaft Projekte.
Wir trinken cremigen Matcha Latte aus japanischen Schalen, die ich auf einem Berliner Flohmarkt gefunden habe und essen dazu kleine Teilchen aus Quarkteig mit Apfel und Zimt (die hatte ich am Sonntag früh gebacken, weil ich mit Kopfweh wach wurde und bereits ahnte, dass es genau diese kleinen Brötchen im Mix mit Kopfwehtabletten und Netflix als Kur brauchen würde), mittags gibt einen schnellen asiatischen Hähnchensalat mit Nüssen, der frisch und köstlich schmeckt.
Anschließend fahre ich durch die Stadt zu einem Arzttermin und auf dem Rückweg wieder ins Headquarter, als ich riesige Lust auf schwarzen Tee bekomme.
Und vielleicht noch ein Stück Kuchen, weil das bisschen Hähnchen und das bisschen Salat keinen satt macht.
Auf dem Weg befindet sich allerdings nur eine Pizzeria und so bestelle ich spontan eine Portion Tiramisu und eine Portion Panna Cotta für alle.
Als meine Bestellung ankommt, sind die Portionen so riesig, dass die Tiramisu- und Panna Cotta-Versorgung für mehrere Tage gewährleistet ist.
Meinen Tee kaufe ich bei einem kleinen Healthy Food Place nebenan, da gibt es nur Grüntee, dafür alles organic, man muss im Leben auch Kompromisse schließen.
Ich kann im Leben anscheinend keine Kompromisse schließen, der Tee schmeckt ganz furchtbar künstlich aromatisiert, ich bekomme keinen Schluck davon herunter.
Während ich mit meinen Dolci ins Headquarter fahre, überlege ich, was für eine wundervolle Erfindung schwarzer Tee eigentlich ist?
Diese herben, duftenden, blumigen Blätter, die unzähligen frischen Aromen, mal spritzig, mal mit einer zarten Nussnote, mal sanft und lieblich und dann wieder würzig, klar in der Tasse wie flüssiges Gold oder bernsteinfarben und fast bitter.
Warum ist es so schwer, wirklich guten Schwarztee To Go zu bekommen?
Gibt es überhaupt schöne Teehäuser in der Stadt?
Und wie würde ich so ein Tea Place gestalten, eher reduziert japanisch und hell oder klassisch stimmungsvoll mit vielen Büchern und tiefen Sesseln?
Während ich im Geiste bereits die Tassen für das zukünftige Liebesbotschaft Teehaus entwerfe, biege ich in die Headquarter-Straße ein und weiß plötzlich mit einer fast erschreckenden Genauigkeit, worauf ich gerade Lust habe.
Ich hole jetzt einen Schwarztee für mich.
Vom syrischen Laden.
Jetzt sofort möchte ich einen Schwarztee und zwar genau von den Menschen, die mich, mein Team und die Polizei seit Monaten ärgern, beschimpfen und sabotieren.
Ich mag überhaupt keinen orientalischen Schwarztee, aber das ist mir im Moment egal.
Als ich das Imbiss betrete, befinden sich ungefähr 8 Personen darin, alle männlich.
Ich räuspere mich und sage freundlich: „Hallo. Ich hätte gerne einen Schwarztee.“
Da hätte ich ebensogut auf einem Kamel reiten oder eine Feuerwerksladung explodieren lassen können.
Der gesamte Raum verstummt.
Die Situation ist beinahe filmreif: Keiner bewegt sich mehr, keiner sagt etwas.
Nach gefühlter Ewigkeit tritt der Besitzer des Ladens hervor und fragt ungläubig, ob ich die Nachbarin sei.
Er weiß ganz genau, wer ich bin.
„Ja.“
Alle sind weiterhin vollkommen still.
„Und was möchten Sie?“
Ich lächele und wiederhole ruhig: „Einen Schwarztee.“
Der Mann zweifelt an seinen Sinnen und braucht etwas Zeit.
„Wir… wir haben keinen Schwarztee.„, sagt er schließlich.
„Oh,„, entgegne ich. „Kein Problem.“
„ABER WIR MACHEN SCHWARZTEE! Ich mache Ihnen privat… also ich koche.. . also ich bringe Ihnen Tee!“
„Okay.“
Ich lächele wieder.
Am liebsten würde ich allerdings weinen.
Meine Güte.
Nach wenigen Minuten bekomme ich eine große Aluminiumkanne mit sehr, sehr starkem und sehr heißem schwarzen Tee und einem kleinen türkischen Teeglas im Innenhof serviert.
Ich schlürfe ihn vorsichtig, während ich mit meinen Mitarbeitern spreche, der Tee wärmt meine Finger, der Zuckergehalt lässt die Geschmacksnerven auf Jahre absterben.
Als ich die leere Kanne ins syrische Imbiss zurückbringe, schauen wieder alle Anwesenden zu mir.
Jeder strahlt mich offen an, der ganze Raum ist voller Liebe.
Absolut. jeder. liebt. mich.
Ich will wieder weinen.
Meine Güte, wie einfach Frieden geht.
Abwarten und Teetrinken, was für ein Move.
Ich wette, ich habe nie wieder Probleme mit dem Parken.
Liebesgrüße
Joanna
Jenny Reese
7. Februar 2022 at 20:09Die Liebe gewinnt immer… seufz…
Tina
7. Februar 2022 at 20:14Okay, also DAS ist frei erfunden! Frei nach „Ali Baba und die 40 Räuber“. Und wenn dann die Teekanne noch nach Wunderlampe ausgesehen hat…
Joanna
7. Februar 2022 at 20:15ICH SCHWÖRE!!!
Maren
7. Februar 2022 at 20:24Liebe!
Joanna
7. Februar 2022 at 20:45Ja!
Juli
7. Februar 2022 at 20:31Diese Geschichte hat mich seltsamerweise berührt. Wirklich.
Joanna
7. Februar 2022 at 20:45Das ist doch nicht seltsam ;).
Wen sie nicht berührt, der ist aus Stein ;))).
Martina
7. Februar 2022 at 21:13Ich LIEBE deine „Tagebuch–Geschichten“!!!
Simone Ochs
7. Februar 2022 at 21:33Respect this is Joanna’s way of life!
Joanna
7. Februar 2022 at 22:20❤️!
Anne
7. Februar 2022 at 21:41Ich liebe dich!
Joanna
7. Februar 2022 at 22:20Aaaaaah ❤️!!!
Heidemarie Walter
7. Februar 2022 at 22:04Geil
Joanna
7. Februar 2022 at 22:20Ja ;)!
Catalina
7. Februar 2022 at 22:50Wir haben einen syrischen Obst-und gemüsehändler unter uns und, wir hatten nie Zwietracht o.ä., aber die Regeln im Umgang musste ich auch echt erst lernen. Irgendwas besprechen zu wollen, OHNE vorher zumindest einen Tee, ein Falafelbällchen etc. eingenommen und über das Befinden der GESAMTEN Familie gesprochen zu haben, geht gar nicht. Ist schlicht unkultiviert.
Du musst erstmal syrischen Kaffee aka Gewürztrunk probieren…hihihi…
Andrea
8. Februar 2022 at 8:55Guten Morgen liebe Joanna,
So toll geschrieben, ich musste zwischendurch auch mal laut lachen, ich seh alles immer vor mir, wie schön du es dir immer machst, da brennt eine Duftkerze usw.
Super, dein Auftritt bei deinem Nachbarn, da schlägt der Puls bis zum Hals denk ich, aber hernach hüpfen die Glückshormone
Ich muss jetzt noch was fragen, was passiert in diesem neuen “ Headquarter“ ? Sorry, ist an mir vorbei gegangen.
Schreibst du da deine Bücher, werden Kurse abgehalten??
Danke für deine Antwort und schöne Zeit
Gabriele
8. Februar 2022 at 9:14Claudia
8. Februar 2022 at 9:27Hach ich liebe liebe liebe Deine Tagebuchgeschichten! Das macht süchtig! Und das mit dem syrischen Nachbarn glaub ich so sofort. Ich hatte einen syrischen Schwiegervater. Der liebste Mensch in Person! Aber wehe, es ging irgendwas gegen seinen Strich, dann wurde es sofort heftig!
Dagmar
8. Februar 2022 at 9:50Ja, wie einfach Frieden geht in der Liebe.
Danke, dies ist berührend
Sunni
8. Februar 2022 at 10:35NUR SO geht Frieden! Immer wieder. Man will es schier nicht glauben. Und ja, man kann da auch mal weinen. Vor Freude und Erleichterung. Kurz!! :-)))
Joanna
8. Februar 2022 at 10:50❤️❤️❤️!!!
Petra
8. Februar 2022 at 12:46Könntest du vielleicht auch die Regierungen von Russland und der Urkaine beraten? Und vielleicht auch die EU und die USA mit einbeziehen? Wenn es im Kleinen passt, funktioniert es auch im Großen, wenn jeder mal sein Ego beiseiteschiebt, kann es nur gut werden. LG Petra
Joanna
8. Februar 2022 at 13:11Und da scheitert es auch schon!
Am Ego.
Immer! Überall.
Sonja
8. Februar 2022 at 16:21Du zeigst: es gibt immer einen Weg. Immer! Die Liebe siegt… ich hatte Tränen in den Augen
Mina
8. Februar 2022 at 17:46Liebe Joanna,
so toll , danke! ❤️
Ich glaube dir die Geschichte natürlich ❤️, könntest du bitte irgendwann einen Folge-Artikel schreiben und erzählen, wie es weiterging?
Mina
8. Februar 2022 at 17:50PS: Ich hatte zuletzt selten so sehr das Bedürfnis, einen Artikel an meine Liebsten (und manchmal weniger lieben… ) weiterzuleiten! Diese Geschichte muss gehört werden!
Rebecca
8. Februar 2022 at 18:02Tränen!!
Stefanie Lange
9. Februar 2022 at 10:12Das erinnert mich an den wundervollen Film „Miss Malory und der Duft von Curry“ mit der großartigen Hellen Mirren. Ein rührender, sinnlicher und lebenskluger Film. Und der kluge Inder sagt: Wenn Du einen Feind nicht besiegen kannst, dann umarme ihn. Das hab ich mir gemerkt. Seitdem ist vieles leichter!
Marina Huber
13. Februar 2022 at 12:29❤️❤️❤️
Sabine Fuchs
14. Februar 2022 at 15:31Wunderbar 🙂
Nel
18. Februar 2022 at 5:23Da hast du wohl jmd an die guten Sitten seines Landes erinnert und das auch noch sehr charmant! Chapeau!
Liane
21. Februar 2022 at 18:01Das ist ja eine filmreife Szenerie. Ich konnte sogar die Spannung im Laden fühlen. Ich will mit dir weinen so viel Liebe steckt da drin. Ich freue mich so für dich. Thats live my dear❤️
Edita
23. Februar 2022 at 21:33Ich frag erst gar nicht nach deinem Buch (peanuts) – wann und wo kommt der Liebesbotschafts-FILM???
Joanna
24. Februar 2022 at 7:46