Charlotte, die Star-Medizinerin mit weltweit bekannten Publikationen im wissenschaftlichen und medizinischen Fachmagazinen (to be), und meine 3. Tochter (gefühlt), wohnt gerade eine Woche lang bei mir.
Nach einem halben Jahr in einem der besten Forschungslabore der Welt, welches sich in London befindet, wurde ihr aufgrund ihres großen Talents und ihrer ungewöhnlich guten Leistungen ein weiteres halbes Jahr angeboten: Ehre, wem Ehre gebührt.
In der Zwischenzeit pendelt sie zwischen der Uni in Erlangen und meinem Apartment hin und her:
wir essen jeden Abend zusammen, lachen viel, und genießen die gemeinsame Zeit sehr.
Weil Neo ab und zu mitten in der Nacht einfällt, dass sie kurz raus muss, darf Charlotte gerade in meinem Bett unter dem Dach schlafen, während ich gemeinsam mit Neo im Gästezimmer übernachte.
Das klappt ganz wunderbar, auch wenn meine Nächte manchmal unterbrochen werden (das finde ich weniger wunderbar): wir gehen aus der Türe, tapsen schlaftrunken viele Treppen runter, verlassen das Haus, laufen zu einer Wiese, und tapsen den Weg wieder zurück – das ist etwas umständlicher als im Loft, als ich Neo nur in den Hof zu lassen brauchte.
Das Ganze erinnert mich übrigens stark an die Zeit mit den Neugeborenen (und schon damals habe ich es gehasst) – leider kann Neo nicht wirklich etwas dafür, weil es eine organische Ursache hat.
Aufgrund des schönen Wetters beschließt Charlotte, noch vor der Uni Joggen zu gehen, was um ca. 5.20 Uhr stattfindet.
Wir wünschen uns die schönste Nacht und gehen beide glücklich in unsere Betten.
Um 2 Uhr morgens werde ich von Neo geweckt, und unsere gewohnte Nachtroutine findet erneut statt:
die Treppen herunter (ich wie immer im Schlafanzug und mit einer Glasbausteine-Brille von -11 Dioptrien), raus aus dem Haus, auf die Wiese, Neo schnüffelt noch etwas, bis wir uns wieder auf den Rückweg machen.
In dem Augenblick, in dem ich die Haustüre öffnen will, merke ich mit Schrecken:
Mein Haustürschlüssel hängt nicht mehr am Schlüsselbund – mir fällt schlagartig ein, Charlotte machte ihn am Abend zuvor ab, um mich morgens bei ihrer Rückkehr vom Joggen nicht durch das Klingeln wecken zu müssen.
Kein Problem, dann klingele ich eben jetzt. Charlotte wird garantiert wach werden.
Charlotte wird nicht wach.
Neo und ich stehen vor dem Eingang des Mehrfamilienhauses: ich im Schlafanzug, mit wirrem Haar und dicker Brille, Neo etwas verwirrt, was das Ganze nun soll.
Wir klingeln erneut.
Nichts passiert.
Neo schaut mich fragend an, ich vermittle Selbstsicherheit und Kompetenz im Schlafanzug.
Kein Problem, das wird gleich.
Wir klingeln erneut.
Ich drücke minutenlang auf den Klingelknopf.
Nichts passiert.
Ich ändere meine Strategie, und klingele in kurzen Sequenzen, intervallartig quasi.
Nichts passiert.
Ich klingele einmal ganz lang, und dann wieder kurz, kurz, kurz, in der Annahme, Charlotte mit dieser Methode wachzubekommen.
Nichts passiert.
Ich beschließe, dass Charlotte JETZT wach wird, und klingele.
Charlotte wird nicht wach.
Mittlerweile sind 20 Minuten vergangen, Neo kratzt mit der Pfote an der Einganstüre („Okay, war jetzt lustig, können wir endlich rein?“), und schaut mich immer fragend an.
Ich meinerseits frage mich, wie lange wohl eine Tiefschlafphase des Menschen dauert, ob ich einfach nur noch lange genug klingeln muss, damit der Tiefschlaf in REM übergeht, und ob Charlotte dazu bereits eine Studie veröffentlicht hat.
Will das direkt googeln, aber leider ist mein Handy ebenfalls im Apartment.
Ich klingele, während Charlotte ihre Tiefschlafphase offensichtlich voll auskostet.
Nichts passiert.
Ich frage mich, welche Alternativmöglichkeiten mir bleiben:
Im Auto übernachten? Leider ist der Haustürschlüssel der Universalschlüssel zum Parkhaus.
Die Nacht draußen verbringen?!
Ich überlege, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, von einem der Hausbewohner entdeckt, und bei der Polizei angezeigt zu werden („Verwahrloste Frau, nächtliche Ruhestörung“).
Neo schaut mich unsicher an, ich schaue vertrauensvoll durch meine zentimeterdicken Brillengläser zurück, und klingele erneut.
Ihr ahnt es: Nichts passiert.
Simone, die Lehrerin, die für einige Monate bei uns im Loft wohnte, bewohnt ebenfalls ein Apartment im Gebäude.
Voller Zögern drücke ich schließlich ihren Klingelknopf – und werde auf der Stelle reingelassen.
Ich fahre zunächst in mein Stockwerk und stehe vor der Türe meines Apartments: der Klingelton hier ist nämlich lauter und durchdringlicher.
Charlotte stört das nicht im Geringsten, und so stehen wir weiterhin vor verschlossener Türe.
Neo ist höchst verwirrt, kratzt mit der Pfote gegen die Wohnungstüre, und versteht die Welt nicht mehr.
Jonathan, Simones Boyfriend kommt uns im Treppenhaus entgegen: Wir begrüßen uns wie zwei Zombies, während Neo ihr Glück nicht fassen kann:
Jonathaaaaaan?!
Das war also die große Überraschung?!
Wir tapsen in Simones Wohnung, Neo kann sich kaum noch halten vor Begeisterung:
Jonathaaaaaan UND Simone?! Beide gleichzeitig um 3 Uhr morgens?! Übernachtungsparty?! Best night of my life!
Ich erzähle den beiden, dass mir nur noch die Option blieb, die Nacht bis zum Morgengrauen draußen zu verbringen.
Jonathan fragt sich, wo das Problem sei, man könne sich schließlich aus Birkenzweigen einen Unterstand bauen (ich nehme an, dazu braucht man nur noch einen Rest Wachs und eine Kartoffel).
Jonathan heißt in echt Mac Gyver und frühstückt morgens Bär am Spieß, den er zuvor mit einem Schnürsenkel selbst erlegt hat. Mit EINEM Schnürsenkel.
Simone sieht aus wie das blühende Leben (um 3 Uhr morgens. No comment.), bezieht mir augenblicklich weiche Daunendecken und Kissen mit frischer Bettwäsche, schenkt mir ein Glas Wasser ein, und wünscht mir die schönste Nacht.
Neo findet alles super spannend, wartet brav, bis sich Simones Schlafzimmertüre schließt, und kuschelt sich so eng zu mir auf’s Sofa, dass ich mich keinen Zentimeter mehr bewegen kann:
Jonathan, Simone UND auf dem Sofa gemeinsam schlafen – Neos Leben ist vollkommen.
Ich werde um halb 6 wach, laufe in meine Wohnung, aber da ist Charlotte gerade joggen.
Ich klingele um halb 7 erneut an meiner Türe, aber da ist Charlotte unter der Dusche.
Schließlich öffnet sie mir tropfnass.
Neo verlässt übrigens ein bisschen widerwillig Simones Apartment, denn wann darf man schon mal auf’s Sofa?!
Und sind wir nicht erst eingeschlafen?
Was soll überhaupt der ganze Stress so mitten in der Nacht?!
Was meint ihr, so mit Abstand betrachtet:
Was schuldet mir Charlotte für nächtliches Dauerklingeln im Schlafanzug?
Neue Brüste?
Kostenlose Checks for den Rest meines Lebens?
Oder soll sie meinen Kopf öffnen, und machen, dass ich schlauer werde?
Ich kann mich wirklich nicht entscheiden.
Liebesgrüße
Joanna
Judith
17. April 2019 at 11:41Aber hey! Charlotte hat gut geschlafen.
Joanna
17. April 2019 at 11:46Good for her ;))))!
Sundos
17. April 2019 at 12:07Das erinnert mich an meine Tochter
Anke
17. April 2019 at 12:23Großartig Ich würde mich auf jeden Fall für die Brüste entscheiden. (In meinem Fall hätte ich dafür auf dem Bordstein geschlafen. ) Also Neo schuldet sie definitiv NICHTS!
Vielleicht wäre ein eigenes Schlüsselbund ein nettes Ostergeschenk? Ach halt… sie schuldet DIR ja was. 5 Stunden Kopfkraulen vielleicht?
Sara
17. April 2019 at 12:25Liebe Joanna,
ich habe die ganze Zeit eine Frage im Kopf. Wie kann man als Medizinerin so eine feste Schlaf haben? Ohropax vllt.?
Was sie dir schuldet überlege ich noch.
Aber ich glaube wie bei Monika in Friends brauchst du ein paar Schlüssel mehr!
Charlotte soll dir lebenslang, jedes Mal wenn ihr zusammen am selben Ort seid. Jeden Morgen dir ein mega Frühstück ins Bett bringen.
Deine Sara
Yazz
17. April 2019 at 12:33Ich habe hart gelacht
Susann
17. April 2019 at 12:35Sie schuldet Dir 1000 Küsse, weil sie so wunderbar in deinem Bett schlafen konnte. Wer darf schon bei einer Liebesbotschafterin im Bett schlafen??? Alles andere: ist nicht so elementar um sich drüber zu ärgern. Ich hab unendlich gelacht!!!
Sabine Schmidt
17. April 2019 at 13:07Uih, damit hatte ich nicht gerechnet, das war ja eine Nacht…ich kenne das leider auch, nur in der Kombi „Hund im Haus“(also keine „Aufmachhilfe“, auch wenn sie der schlaueste Hund der Welt ist)und Essen auf dem Herd(was die Sache etwas dringend machte..
Schlüsseldienst konnte erst 45 min später kommen(das Essen!!!), bei Freunden ging nur die Mailbox an(wo sind sie, wenn man sie braucht), da war guter Rat teuer…Ende vom Lied, Nachbar rausgeklingelt, der konnte mit der alten Tür im Keller etwas anfangen, Ende gut, alles gut…ich kam völlig fertig ins Haus, Maya mir schwanzwedelnd“ na, wo warst Du?“
Liebe Grüße
Sabine
Joanna
18. April 2019 at 15:31Oh ha!
Bei Essen auf dem Herd hätte ich vermutlich auch Panik geschoben…
So war ich nur müde ;))).
Iris
17. April 2019 at 13:20Hahaha, was für eine Geschichte!! Joanna, to do für heute – Zweitschlüssel anfertigen lassen und den eigenen nicht mehr (gar nicht mehr) aus der Hand geben.
Und danach alle zusammen zur Dinnerparty einladen, das wird ein lustiger Abend!
Manu
17. April 2019 at 13:51wow! echt toll, welche Abenteuer du dir für Neo ausdenkst 🙂
und wie selbstlos du alles bei 2°C im Schlafanzug draußen vor der Tür erträgst!
so hat Schnups beim nächsten Treffen mit Freund(inn)en ja richtige Stories zu berichten 🙂
🙂 🙂
liebe Grüße Manu
Joanna
18. April 2019 at 15:31Ja, ne?
ALLES FÜR DEN HUND!
Nadja
17. April 2019 at 13:57Liebe Joanna, ich habe Eure Nacht beim Lesen quasi körperlich miterlebt. Mein Chef fragt, warum ich plötzlich so lächel (das war die Stelle, als Neo auf Jonathan trifft und happy night singt).
Mein Problem wäre: ich trage keinen Schlafanzug und „mein Jonathan“ ist 87 Jahre alt (oder so) und heißt Rolf und trägt Schießer Feinrippunterhemden. Deshalb: will ich nicht.
Umso mehr freue ich mich, wie schön die Nacht für Neo war.
You made my day. Both of you…
AL Nadja
Joanna
18. April 2019 at 15:32Jetzt musste ich wegen Rolf sehr lachen ;)))))!
Daniela
17. April 2019 at 14:19Wie köstlich!!! Hab mich gerade fast nass gemacht vor Lachen!! Mit EINEM Schnürsenkel…!!!! Also, ich würde die Brüste nehmen. Kann man generell immer gebrauchen. Auch wenn man sich mal wieder ausgesperrt hat und irgendwo klingeln muss. Ne gute Oberweite ist da sicherlich kein Hindernis….;))).
Joanna
18. April 2019 at 15:32„Kann man generell immer gebrauchen. Auch wenn man sich mal wieder ausgesperrt hat und irgendwo klingeln muss. Ne gute Oberweite ist da sicherlich kein Hindernis….;))).! – TOTAL PRAGMATISCH!!
Lynda
17. April 2019 at 14:32Eine extra Schlüssel?
Steffi
17. April 2019 at 14:33Sorry, aber: Danke für einen megalustigen Artikel!
Joanna
18. April 2019 at 15:33Gerne 😉
Joanna
17. April 2019 at 14:37Plattenbau. Vor 30 Jahren. 21 Uhr. Bin alleine mit meinen Schwestern zu Hause. Sie liegen schon im Bett. Eine Freundin kommt vorbei, sie darf aber nicht rein. Mama ist zwar nicht da, Regeln werden jedoch eingehalten …Ich stehe mit ihr om Flur, direkt vor der Tür. Meine Schwester schließt jedoch ‚zur Sicherheit‘ ab Sie lässt mich ja auch gleich rein….
Und dann geht die Geschichte wie bei dir weiter… Nur am Ende habe ich so viel Angst, dass was Schlimmes passiert ist, dass ich letztendlich über den Balkon der Nachbarn zu uns in die Wohnung gelange. Mit 13 Jahren. Und die Erwachsenen schauen zu….
Es ist mittlerweile 23:30 Uhr. Meine Schwestern schlafen ganz friedlich …
Heike
17. April 2019 at 14:44Die Story ist ja echt zum Brüllen…Kopfkino par excellence . Du Arme…aber was macht man nicht alles, um die süßeste Schnupsi der Welt glücklich zu machen . Ich würde übrigens Punkt 2 nehmen…klingt zwar am langweiligsten, aber 1 und 3 hast du doch gar nicht nötig
Iridia
17. April 2019 at 15:03Ich hab herzlich gelacht und kenne es ähnlich. Nur mal schnell das Paket im Herrenhemd runterbringen – klapp – während mein Mann in der Wohnung eine Doppeltür abschleift und über Stunden nichts hört. Alle dachten, ich bin rausgeflogen, so wie ich an die Tür gehämmert habe und nonstop geklingelt, sogar voller Verzweiflung das Star Wars Thema geklingelt! Irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, in Sicherung für die Wohnung rauszudrehen und siehe da: das Abschleifen brach ab, mein Mann guckte aus der Tür und ich war wieder drinnen. In dem Moment war es nicht so lustig wie jetzt, aber ich bin wirklich nie mehr ohne Schlüssel vor die Tür. 😀
Glückwunsch an Charlotte zur Schlafqualität. Eigentlich sollte es so sein.
Joanna
18. April 2019 at 15:34„sogar voller Verzweiflung das Star Wars Thema geklingelt!“ – ich kann nicht mehr :))))))…
Kristin Gaethke
17. April 2019 at 15:41Arme Charlotte … wie schlecht muss es ihr jetzt gehen? neue Brüste wären angemessen… liebe Grüße Kristin
Katrin
17. April 2019 at 16:11Tränen gelacht!!! Herrlichste!
Joanna
18. April 2019 at 15:34😉
Mumbai
17. April 2019 at 16:48was tut man nicht alles fuer Hund und Freunde? Funny but true story.
Nana
17. April 2019 at 18:52So etwas hab ich auch schon mal geschafft. Tief und fest geschlafen und selbst das sturmklingeln vom besten aller Ehemänner nicht gehört, der auch Schlüssel vergessen hatte.
Er hatte schon überlegt ins Hotel zu ziehen, ist vorher aber noch über den 2m hohen Gartenzaun geklettert und hat wie ein wilder am Rolladenkasten gerappelt. das hat mich dann tatsächlich geweckt. Aber nach einem Dienst falle ich ins tiefste Koma, scheint eine Medizinerkrankheit zu sein
Wie weit ist denn Deine Tochter im Studium?
Liebe Grüße und schöne Ostern!
Christina
17. April 2019 at 19:01Ich kann nicht aufhören zu lachen, die Geschichte an sich ist schon lustig, aber dann noch WIE sie geschrieben ist!!! Großartig !
Joanna
18. April 2019 at 15:34Danke :)!
Nadja @meinrichtubgswechsel
17. April 2019 at 19:19Was für tolle Nachbarn! Ich mag solche Menschen. In Zukunft kriegen die sicherheitshalber einen Ersatzschlüssel…oder?
Clemens
17. April 2019 at 23:03Köstlich! Einfach Köstlich!
Und deine Prosa sucht seinesgleichen! Chapeau meine Liebe
Joanna
18. April 2019 at 15:34Merci :)!
Conny
17. April 2019 at 23:36Hab mir alles haarklein vorgestellt. Danke für diese lustige Gute-Nacht-Geschichte. Ich würde statt den Brüsten die Augen lasern lassen, weil ich auch so Aschenbechergläser auf der Nase habe. Danke für’s Teilhaben, liebe Joanna
Joanna
18. April 2019 at 15:35Das wäre wirklich das Allerbeste!
Rabea
18. April 2019 at 10:06Diese Geschichten sind es, wieso ich Deinen Blog lese. Ja, Modepostings sind toll, Beauty- und Foodbeiträge auch ok, Interior ist klasse. Aber diese Geschichten aus dem Leben sind großartigst und versüßen mir den Tag jedes Mal auf´s Neue.
Ich muss immer noch an die Geschichte denken, die Du vor Jahren berichtet hast, als ihr mit dem Auto in den Urlaub fahren wolltet (oder zurückgekommen seid?) und das Auto plötzlich nicht mehr lief. Koffer raus, um an das Warndreieck zu gelangen usw. Werde ich nie vergessen, so herrlich aus dem Leben gegriffen! Gerne mehr davon!
Joanna
18. April 2019 at 15:35Na ja, kann jetzt schlecht jedes mal Katastrophen erleben, die ich dann lustig erzählen kann, nur damit sich Leser unterhalten fühlen…
Mit mir unterwegs
22. April 2019 at 11:21Ach herrlich. Du hast Neo absolut im Griff. Made My Day